Diese Bilder sind nun in der Welt: Bilder eines Bündels, in dem ein kleiner, toter Mensch steckt, und Bilder seiner Eltern, die trauern, weil sie ihren Sohn gerade noch erwarteten und ihn nun verloren haben. Die Fotos, die das Model Chrissy Teigen und ihr Ehemann, der Popmusiker John Legend, im Netz posteten, verbreiteten sich rasant. Sie haben offenbar viele Menschen berührt.
Das mag daran liegen, dass sie etwas zeigen, was sich eben doch schwer in Worte fassen lässt: Verlust - und zwar eine Art von Verlust, die Frauen und Männer schwer treffen kann, die aber seltsamerweise nie besonders ernst genommen wurde. Das Thema Fehl- oder Totgeburt sowie die Tatsache, dass Neugeborene bei oder nach der Geburt sterben können, betrifft viele werdende Eltern nach Schätzungen von Medizinern. Immer schon und immer noch. Bisher hatte es aber keinen großen Platz, kein angemessenes Bild in der Gesellschaft - und übrigens auch nicht dort, wo es doch Bilder für fast alles gibt: in der Welt der Kunst.
Chrissy Teigen und John Legend haben diese Bilder nun hinzugefügt. Beide sind bekannt, wenn nicht berühmt; beide erreichen über ihre sozialen Kanäle viele Millionen Follower. Ihre Privatsphäre haben sie lange schon - in einem gar nicht so kleinen Ausmaß - für andere geöffnet.
Teigen ist Model, Social-Media-Star und Fernsehbekanntheit, ihr Mann ein erfolgreicher Musiker. Sie waren ein Powerpaar des Glücks, das man ihnen auch abnahm. Zwei Sympathieträger in einem Land, das Sympathieträger gerade sehr nötig hat. Als Teigen, durchaus eine Meisterin der Selbstironie, vor einiger Zeit teilte und mitteilte, dass sie ihre (einst operativ vergrößerten) Brüste verkleinern lassen würde, galt das zum Beispiel nicht als exhibitionistisch, sondern als typisch Teigen. Als ehrlich, unverstellt, auch unverkrampft. Das in etwa ist der Rahmen, in der die Veröffentlichung der neuesten Fotos zu betrachten ist.
Teigen und Legend haben zwei Kinder und nie verheimlicht, dass es nicht leicht war, schwanger zu werden. Dann die Ankündigung dieser Schwangerschaft, bald auch die Postings, mit denen sie davon berichteten, dass es Komplikationen gebe, Blutungen, die Sorge, ihr Kind werde nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Die Schwangerschaft war fortgeschritten und Teigen gab ihrer Hoffnung Ausdruck, es über eine kritische Grenze hinauszuschaffen.
Dann waren aber plötzlich diese Bilder in der Welt: Schwarz-weiß-Aufnahmen. Teigen auf einem Untersuchungstisch. Teigen im Krankenhausbett, offenbar schlafend, ihr Mann neben ihr, ihre Hand haltend. Teigen, ihren toten, in Stoff gewickelten Sohn im Arm, ihr Mann beugt sich zu ihnen. Teigen, nun auf dem Krankenhausbett sitzend, weinend, die bloßen Schultern nach vorne gebeugt, eine Hand umfasst die andere, wie zum Gebet. Später, in Farbe, das Bild, auf dem Teigens Mutter das Bündel hält. Dazu ein Name, Jack.
Dass Millionen im Netz kommentierten und Mitgefühl ausdrückten, ist ein Indiz dafür, dass da bislang viel verdrängt wurde.
Auch früher wurden schon bildliche Metaphern für den Schmerz geschaffen, ein Kind zu verlieren, aber das sind Bilder aus der Kunstgeschichte. Die bekannteste Darstellungsform in dieser Hinsicht ist die Pietà, die Abbildung der Muttergottes mit dem Leichnam ihres Sohnes Jesus. Womöglich haben Betrachter in solchen Szenen lange auch mehr gesehen als nur eine religiöse Botschaft, vielleicht fühlten sie sich als Menschen verstanden, die den Tod eines Kindes oder anderer Angehöriger zu verkraften hatten.
Doch ein Kind zu verlieren, bevor es leben konnte, war lange nichts, worüber man sprach, geschweige denn etwas, wozu man Kunstwerke schuf. Erst die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo (1907 bis 1954) hatte den ungeheuren Mut, den es in ihrer Zeit brauchte, ein Bild über diese Tragödie zu malen, die sie selbst 1932 erlebt hatte. Auf ihrem kleinen Gemälde platzierte sie das tote Baby schwebend über sich, sie selbst liegt in einem Krankenhausbett, unter ihrem Unterleib eine Pfütze aus Blut.
Schwangerschaften kamen in der Kunst, wenn überhaupt, lange ausschließlich im positiven Sinne vor, als Zeichen von Fruchtbarkeit. Die Kunst hatte lange ein irreales Verhältnis zu dem, was normal und menschlich ist; übrigens auch zu Frauen. Künstlerinnen hatten es schwer, noch bis vor Kurzem war das sehr ausgeprägt, und es betraf noch mehr solche, die selbst Mütter waren. Sie wurden noch weniger ernst genommen.
Dass sich Paula Modersohn-Becker 1906 schwanger malte (obwohl sie damals noch kein Kind erwartete), war ein revolutionärer, geradezu heldenhafter Akt. Louise Bourgeois (1911 bis 2010), selbst auch Mutter, zeigte Schwangerschaft im Nachhinein als blutrote Erinnerung. Tracey Emin verarbeitete zwei Abtreibungen, auch da fand eine Enttabuisierung statt.
Aber Totgeburten oder tote Neugeborene waren und sind beinahe das größere Tabu, in und außerhalb der Kunst. Warum eigentlich? Kann man Eltern den Schmerz durch Schweigen nehmen? Manche wollen das, andere eigentlich nicht. Nun sehen sie, dass sie mit dieser Haltung nicht allein sind.
Chrissy Teigen twitterte gestern: "Auf der Heimfahrt vom Krankenhaus ohne Baby. Wie kann das real sein?"
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Unterhaltung
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